Wir sind weit gekommen.
Gut 300 Jahre nach dem Beginn der Aufklärung und mehr als 200 Jahre nach der geistigen und sozialen Reform innerhalb des Zeitalters der Aufklärung haben wir einen Wertekanon entwickelt, der unstrittig ist und an den sich alle Länder – zumindest die allermeisten – gebunden fühlen.
70 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges mit Millionen Toten und weiteren Millionen Vertriebenen und Flüchtenden stehen wir im 21. Jahrhundert und machen doch dieselben Fehler wie in allen vergangenen Zeiten.
Wir bekämpfen die Symptome einer Entwicklung, die wir auch selbst verursacht haben.
Wir Europäer haben ‚der neuen Welt‘ unseren Stempel aufgedrückt, indem wir sie überfielen, eroberten, kolonialisierten, wirtschaftlich vereinnahmten und schlussendlich fallen ließen, als ihre Völker ihr Recht auf Selbstbestimmung einforderten und erkämpften.
Wir haben dabei Gräueltaten begangen, ganze Völker beinahe ausgerottet, unzählige Menschen versklavt.
Das alles geschah in einem Selbstverständnis, dessen wir uns heute schämen müssen. Es geschah auch unter den Augen der Kirche, die doch für Barmherzigkeit stehen will.
Die Haltung, die aus dem damaligen Selbstverständnis hervorging, wirkt heute noch. Sie wirkt noch, und das sogar in hochentwickelten und zivilisierten Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika.
In Europa und damit in der Europäischen Union stehen wir jetzt am vorläufigen, aber sicher nicht absehbaren – Ende einer Entwicklung, die wir jahrhundertelang befördert haben.
Viele tausend Menschen flüchten aus Ländern des afrikanischen Kontinents und aus Ländern des von uns ‚vorderer Orient‘ genannten Gebietes.
Sie flüchten aus Ländern, die gemäß unserem westlichen Duktus – wir nennen es Wirtschafts- oder Entwicklungsgefälle – am unteren Ende einer Ordnung stehen, die in sich himmelschreiend perfide ist.
Wir Europäer hatten über einige Jahrhunderte hinweg den Vorteil, anderen in der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Verwaltung einige Schritte voraus zu sein. Wir hatten die fragwürdige Eigenschaft, diesen Vorteil mit allem Egoismus in Eroberungen und Ausbeutungen umzusetzen.
Darin begründet sich ein großer Teil unseres jetzigen Wohlstands.
Nachdem wir die ehemals eroberten Länder, deren Menschen sich zurecht ihre Selbstverwaltung zurück erobert haben, ausgebeutet haben, ließen wir sie ausgelaugt zurück, statt ihnen dabei zu helfen, moderne und nachhaltige Staatsformen zu entwickeln. Es war uns möglicherweise recht, schwache oder gar keine Demokratien zurück zu lassen – mit Diktaturen und mit nicht geordneten Ländern lassen sich möglicherweise bessere Geschäfte machen.
Jetzt geht in Europa die Angst vor einer großen Zahl Flüchtender um, wobei ich den Eindruck habe, die Flüchtenden sind vielen eigentlich egal.
Wovor haben wir wirklich Angst?
Wir haben Angst, unseren Wohlstand teilen zu müssen. Welche Ironie!
Der Wohlstand, den wir neben eigenem Fleiß und eigenen Fähigkeiten auch durch die Ausbeutung der Schätze anderer Länder und durch die Arbeitskraft der Menschen anderer Ländern erworben haben, versetzt uns jetzt in Angst und Furcht.
Wir fürchten uns davor, etwas von diesem Wohlstand teilen zu müssen. Wir haben Angst davor, einigen Menschen aus den von uns lange missbrauchten Ländern einen Platz zum Leben zu geben.
Das ist nicht anders zu nennen als gierig, geizig, egoistisch und unbarmherzig.
Viele tausende Menschen flüchten aus ihren Heimatländern, lassen alles zurück, was ihnen wertvoll und wichtig ist, riskieren dabei ihr Leben und viel zu oft verlieren sie es auch.
Diesen Menschen bleibt gerade mal ihr Leben. Hab und Gut, Selbstverständnis und Selbstbewusstsein, Lebenszuversicht und -sicherheit haben sie nicht mehr und hoffen, all das in der Fremde endlich aufbauen zu können.
Und was machen wir Europäer? Was machen wir, die wir uns für ethisch und moralisch so gut entwickelt halten? Die wir vielfach christliche Werte für uns reklamieren?
Wir tun das Mögliche, diese Menschen von uns fern zu halten. Wir streiten uns über Kontingente, mit denen geregelt werden soll, wie diese Menschen in Europa verteilt werden sollen. Wir verschließen unsere Türen.
Und während wir uns mit uns selbst beschäftigen, ertrinken diese Menschen im Mittelmeer oder sterben andernorts auf ihren Fluchtwegen.
Ich stimme völlig überein mit Björn Niklas Semrau (@Phobos), außen- und sicherheitspolitischer Sprecher der Piratenpartei Deutschland, wenn er sagt „Wir müssen uns unserer ethischen Verantwortung für diese Menschen bewusst werden. Es ist eine Aufgabe, die nur auf globaler Ebene gelöst werden kann. Die Nationen der Welt müssen sich klar machen, dass heutzutage letztlich alle von den Auswirkungen betroffen sein werden, die aus diesen Fluchtbewegungen resultieren.“
(Hier der ganze Artikel von Björn)
Wir, die Piratenpartei Deutschland erwarten daher, „dass Europa Verantwortung übernimmt – als solidarische Staatengemeinschaft. Die Verteilung von Flüchtlingen muss durch gerechte Quoten geregelt, eine legale und sichere Möglichkeiten zur Einreise in die EU geschaffen, Integration aktiv unterstützt und die Abschiebepraxis ausgesetzt werden.“
(aktuelles Statement der Piratenpartei Deutschland)
Ich wünsche uns allen einen gedankenreichen Weltflüchtlingstag.
Manfred Schramm