Die Fraktionen im Bund tun es, die im Land NRW tun es, warum nicht auch wir im Kreistag Wesel?
War das die Überlegung, die die CDU- und die SPD-Fraktion im Kreistag Wesel zum gemeinsamen Antrag zu den Fraktionsgeschäftsführungskosten getrieben hat?
Neben Diäten- und Zuschlagserhöhungen werden im Bundestag auch die Zuschüsse an die Fraktionen gerne und regelmäßig erhöht.
Von 1950 bis 2013 erhöhten sich so die Zuwendungen um das 475-fache. In diesen 63 Jahren stieg das deutsche Bruttoinlandsprodukt um das 53-fache. Zuwendungen an die Fraktionen sind also ~neunmal mehr gestiegen als Einkommen bzw. Wohlstand der Bürger.
Im Landtag NRW hielt man es kürzlich für eine gute Idee, neben den regelmäßigen Erhöhungen on top noch eine Steigerung der Mittel zu beschließen.
Der WDR titelte dazu „NRW-Abgeordnete bekommen viel mehr Geld für Mitarbeiter“ und schrieb „Im Hauruckverfahren soll der Landtag … den Abgeordneten und Fraktionen deutlich mehr Geld für Mitarbeiter und Sachleistungen genehmigen.“
Aber auch den Mitgliedern in kommunalen Vertretungen vergönnte man mehr Geld. Das zuerst irreführend als ‚Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts‘ kolportierte Gesetzesvorhaben sah kleinere Fraktionsgrößen für den Einsatz von stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden vor und erhöhte die Entschädigung für Ausschuss-Vorsitzende. Und nebenbei: die Entschädigung für kommunale Mandatsträger wurde auch erhöht.
Das bedeutet: die großen Fraktionen partizipieren unverhältnismäßig stark an diesen gestiegenen Zuwendungen, da sie in der Regel mehrere stellvertretende Fraktionsvorsitzende haben und die allermeisten Ausschuss-Vorsitzenden stellen.
Man könnte meinen, je mehr die Fraktionen der ‚großen Parteien‘ schrumpfen, um so mehr wird über entsprechende gesetzliche Regelungen dafür gesorgt, dass die Zuwendungen möglichst nicht schrumpfen. (Zu den allgegenwärtigen Versuchen, mit Wahlhürden die ‚kleinen‘ politischen Kräfte aus Parlamenten und Vertretungen rauszuhalten, um die eigenen Pfründe zu sichern, schreibe ich bei Gelegenheit.)
Und jetzt kommen nach all diesen finanziellen Segnungen die großen Fraktionen im Kreistag Wesel ums Eck und beantragen mehr Geld für ihre Fraktionsarbeit. (Antrag)
Eigentlich wollte ich zu dem Thema still bleiben, bin ich doch als Mitarbeiter einer Fraktion ‚befangen‘.
Die Argumentation von SPD und CDU im Kreistag Wesel schreit jedoch nach Kommentierung.
In der Begründung für eine deutliche höhere Zumessung der Mittel für Geschäftsstellenpersonal (Erhöhung um gut Faktor 3) bemühen die Antragsteller doch wirklich ‚gestiegenen Aufwand durch die zunehmende Digitalisierung‚.
Ja, ihr lest richtig.
Die Digitalisierung, die von allen Experten in Wirtschaft und Verbänden und nicht zuletzt von der Politik als Garant für Effizienzsteigerung bewertet wird und die von Gewerkschaften wegen des drohenden Beschäftigungsabbaus als Jobkiller Nr. 1 gefürchtet wird, ist für CDU und SPD im Kreis Wesel ein Produktivitätshemmnis. CDU und SPD brauchen nach ihrer Auffassung also mehr Personal, um die Hemmnisse der Digitalisierung auszugleichen, unter denen sie die Arbeit ihrer Fraktionen behindert sehen.
Wie kann man sich so etwas ausdenken?
An anderer Stelle begründen die Befürworter dieser überdeutlichen Steigerung der Geldmittel für Personal den Bedarf mit ‚programmatischer Weiterentwicklung‚.
Soll hier etwa Parteiarbeit geleistet werden?
Oder sie begründen den Bedarf mit ‚Beratung in allen (kommunal)politischen Fragestellungen‚. Die finanziell über die Zeit immer besser entschädigten Ehrenamtler sollen also möglichst ihre Arbeit durch angestellte Fraktionsmitarbeiter erledigt bekommen. Denkt man das weiter, sitzen demnächst im Kreistag und in den Ausschüssen jede Menge ahnungslose Mandatsträger mit Sprechzetteln und tragen stumpf die Ausarbeitungen ihrer Mitarbeiter vor.
Verkehrte Welt oder Eingeständnis? Ich weiß es nicht.
Insgesamt klingt der Antrag wie eine coole Schnapsidee für die Generierung von Finanzmitteln, die aber leider das Stadium einer Idee nicht überwunden hat. Aber es musste wohl schnell gehen, damit es noch Eingang in den Entwurf des kommenden Doppelhaushalts findet.
Da ich – wie oben schon geschrieben – in der Sache befangen bin, werde ich mich bei einer kommenden Abstimmung über die Erhöhung des Personalkostenansatzes im Kreistag enthalten (müssen).