Letzte Woche veranstaltete die Rheinische Post den ‚Digital Ethics Summit‘ und titelte danach ‚Datenschutz kostete laut Experten Leben‘.
Aber eins nach dem anderen.
Laut Rheinische Post thematisiert der Digital Ethics Summit einmal im Jahr ethische Fragen der Digitalisierung mit hochkarätigen Referenten und Referentinnen aus dem In- und Ausland, erhebt dabei den Anspruch, einen Diskurs über Werte mit den Fragen des digitalen Zeitalters zusammenzuführen und stellt die Frage, ob die Wertvorstellungen im Zuge der Digitalisierung nicht besser debattiert werden könnten, als das im Zeitalter der Industrialisierung ausgangs des 19. Jahrhunderts erfolgte.
Der RP-Artikel vom 28. Oktober 2021 macht mit der Aussage ‚Deutschland hat große Schwachstellen bei der Digitalisierung‚ auf. Das sei das einhellige Fazit hochkarätiger Fachleute. Es folgt ein Zitat des Vorsitzenden der Techniker-Krankenkasse, Jens Baas: „Wir haben zwar alle Daten, dürfen sie aber nicht nutzen“. Hierbei kritisiert Baas, dass es Tote durch unbewussten Medikamentenmissbrauch gibt, weil verschiedene Ärzte für den gleichen Patienten untereinander unverträgliche Medikamente verschreiben. Der Subtext der Kritik ist also ‚Wenn wir Krankenkassen das abgleichen dürften, würden Tote verhindert‘.
Ich finde dieses Argument schräg und fehlgeleitet.
Baas strapaziert einen der guten Gründe für die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und greift gleichzeitig den Schutz der Patientenakte vor dem Zugriff darauf durch Krankenkassen an.
Hält der Vorsitzende der Techniker-Krankenkasse den Abgleich von Medikationen durch die Krankenkassen wirklich für das geeignete Werkzeug, Leben zu retten?
Ist es nicht eher an den verordnenden Ärzt*innen, Fehler bei der Medikation zu vermeiden, indem sie die geplante Medikation mit den relevanten Daten in der Patientenakte abgleichen oder die Medikation mit der/dem Patuient*in besprechen? [Ärzte und Zahnärzte sind/werden per Gesetz verpflichtet, sich an die elektronische Patientenakte anzubinden.]
Ich möchte jetzt gar nicht erst über die Folgen eines Medikamentierungsabbgleichs durch die Krankenkassen nachdenken wie beispielsweise die Sperrung des Rezepts und der diesbezüglichen Leistungsabrechnung, die Wiedervorstellung des Patienten oder der Patientin oder gar den Verzicht auf das Medikament und damit auf die Therapie. Welche Schlüsse mag Herr Baas gezogen haben, falls er darüber nachgedacht hat?
Mit dem Patientendaten-Schutz-Gesetz sollen digitale Angebote wie das E-Rezept oder die elektronische Patientenakte nutzbar sein und sensible Gesundheitsdaten gleichzeitig bestmöglich geschützt werden.
Die Nutzung der ePA ist freiwillig. Der/die Versicherte entscheidet, wer auf die ePA zugreifen darf.
Krankenkassen gehören aus guten und lange erwogenen Gründen nicht dazu.
Auch der Vorsitzende des IT-Branchenverbands Bitkom, Achim Berg, kritisierte die strenge Auslegung der Datenschutzgesetze mit den Worten: „Wir hätten einen Teil der 95.000 Corona-Toten verhindern können, wenn wir die Warn-App besser genutzt hätten.“ Ja, eine schnellere Bereitstellung und eine weitergehende Nutzung der Corona-Warn-App durch beispielsweise Integration der freiwilligen (anonymen) Datenspende wie in der RKI-App hätten früher Nutzen gebracht und mittelbar Leben schützen geholfen. Hier die Gründe beim Datenschutz zu suchen, ist falsch und fehlleitend. Man hätte nicht in die Privatsphäre der Nutzer*inenn eingreifen müssen, um die App weitergehend nutzen zu können.
Thomas Jarzombek, CDU-Bundestagsabgeordneter und Digitalsprecher erklärt laut RP: „Wir brauchen beim Datenschutz ein pragmatischeres Verständnis.“ Was bitte ist ein pragmatisches Verständnis beim Datenschutz? Wie kann man beim Datenschutz praktischer und lösungsorientierter handeln? Oder meint Herr Jarzombek etwa, man müsse den Datenschutz zur Erreichung anderer Ziele zurückstellen nach dem Motto ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘?
Es ist zu kurz gedacht, berechtigten Datenschutz schnell mal zu reduzieren, um gewünschte Ziele einfacher und widerstandsärmer erreichen zu können.
Der richtige Weg ist, sich im datenschutzrechtlichen Rahmen zu bewegen, um gewünschte Ziele rechtssicher zu erreichen.
Zurück zum Anfang:
Die Wortkombination ‚Datenschutz kostet Leben‘ in der Headline ist fehlleitend. Schade.
Bei der Rheinischen Post hätte ich erwartet, dass sie dem selbstformulierten Anspruch ‚einen Diskurs über Werte mit den Fragen des digitalen Zeitalters zusammenzuführen‚ besser gerecht wird.