Europa oder national?

Heute mache ich es einmal anders herum.
Meist gebe ich Posts von hier auch an Facebook und Twitter, die Originale sind aber immer hier.

Nachdem ich gestern ein Video auf Facebook geteilt habe, in dem eine Auswahl schlimmer Äußerungen von AfD-Vertretern dargestellt wurde und dazu kommentierte: “Gemeinsam in Europa die Zukunft bauen statt Abschottung, Rückwärtsgewandtheit und Hass“, bekam ich eine Antwort von einem AfD-Mitglied im Kreistag Wesel, das sich über mein Verhalten enttäuscht zeigte: „Schade, hatte Dich ein wenig anders eingeschätzt„.

In seiner Antwort wurde EU-kritischer Inhalt aufgeführt, was natürlich legitim ist. Und es wurde der Spin gesetzt, dass die AfD nicht ’schuld‘ sei an den Zuständen ‚hierzulande‘: „… die böse böse AfD. Hilf mir mal bitte kurz auf die Sprünge, wer für die Zustände hierzulande verantwortlich ist. Die AfD? Sicher nicht!„.

Tatsächlich finde ich die ‚Schuldfrage‘, noch dazu auf Deutschland reduziert („hierzulande„), im Kontext Europawahl als unpassend. Sei’s drum.

Über Veränderungen und über meine Einstellung zu Europa und der Europäischen Union habe ich folgendes geantwortet (anonymisiert):

Lieber Xxx Xxxx, für die Zustände hierzulande sind viele verantwortlich. Wo wollen wir anfangen?
Beim Ende des 2. Weltkrieges und dem Wiederaufbau in einem geteilten Deutschland? Oder gehen wir weiter zurück und nehmen die Weimarer Republik mit rein? Oder gar die Kaiserzeit?
Oder möchtest du lieber über Dinge im Jetzt sprechen, die dir nicht gefallen. Dann wäre die Frage aber nicht, wer dafür zuständig ist, sondern wer sie zu ändern willens ist, in welche Richtung sie geändert werden sollen und wie sie zu ändern sind.

Welche Dinge dir nicht gefallen, welche mir nicht gefallen und wie man was ändern könnte/sollte/müsste, darüber können wir streiten. Das tun wir ja auch in kurzen Gesprächen manchmal. Meist zwar oberflächlich aufgrund der zeitlichen Kürze, aber immerhin.

Worüber ich nicht streiten mag sind die Inhalte des Videos.
Die sind schlimm. Die sind fies.Die sind nicht politisch, sondern subversiv.

Zu Europa: ich bin überzeugter Europäer.
Als junger Erwachsener habe ich auf meinen Reisen feststellen dürfen, dass die Ressintiments, die mir als Kind von meinem Umfeld mitgegeben wurden, nicht meine Ressentiments bleiben müssen. In Begegnungen habe ich vielfach gemerkt, dass die Menschen, mit denen ich zusammen kam, wie ich Vorurteile geerbt hatten. In gemeinsamer Zeit und Aktivität sind diese Vorurteile und Vorbehalte oft abgebaut worden. Vielleicht war es dabei hilfreich, dass ich in mehreren Ländern Europas gearbeitet habe und die Menschen so anders wahrnehmen konnte als bei einem kurzen Urlaub.

Bis hierhin habe ich von Europa als Gemeinschaft von Menschen gesprochen und deshalb auch Europa statt EU geschrieben.

Die Europäische Union als Staatenverbund befürworte ich tatsächlich ebenso überzeugt. Hier teile ich grob deine Meinung, dass die EU verändert werden muss. Vermutlich sind unsere Vorstellungen von nötigen Veränderungen aber verschieden (wobei: wie ich dich einschätze, kann es da insbesondere im Sozialbereich Berührungspunkte geben).

Ich stelle mir ein EU-Parlament mit Initiativrecht vor. Eine EU-Verfassung, die von den Bürgern direkt abgestimmt wird. Die verbriefte Möglichkeit fakultativer Referenden.
Das sind nur meine demokratietechnischen Wünsche, von deren Umsetzung ich mir eine bürgernahe EU-Politik mit grösserer Akzeptanz verspreche.
Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Vorstellungen in anderen Bereichen wie Bildungs-, Arbeits-, Sozial-, Fiskal- und Kulturpolitik, die ich gemeinschaftlich(er) umgesetzt sehen möchte.

Das alles fasse ich für mich zusammen unter meinem Leitspruch „Zukunft statt Angst“.
Zukunft wird es nur gemeinsam geben. Angst und Ressentiments sind schlechte Ratgeber.

Die von dir konkret mit dem Junker-Zitat angeprangerte Einstellung bekämpfe ich – und wenn es nur durch meine Stimmabgabe ist. In den letzten Jahren habe ich an EU-politischen Programmen mitgearbeitet, die auf einem positiven Menschenbild basieren und mehr Transparenz, mehr gesellschaftliche und politische Teilhabe und weniger Lobbyismus ermöglichen sollten.

Wegen der faulen Früchte die gesamte Ernte eines jahrzehntelangen Prozesses, der unter anderem unseren Frieden gefördert hat, wegzuwerfen, wäre dumm.

Siehe oben: die EU ändern, nicht abschaffen.